Wer von der Schule geht, kriegt einen Job
An der Grund- und Hauptschule in Walddorfhäslach hat das Fach Berufserkundung Priorität
„Wir leben Bildung!“ So steht es in roter Farbe auf einem Faltblatt der Gustav-Werner-Schule. Was die Lehrer darunter verstehen, erfährt man auf der Innenseite des Prospekts, und man sieht gleich, dass der Namensgeber der Schule auch Inspirator für die Pädagogik ist. „Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert“ – auch ein Satz, in roter Farbe. Indes ziert die Schule ein ganz besonderer Erfolg: Seit drei Jahren hat so gut wie jeder Abgänger, der keine weiterführende Schule besucht, eine Lehrstelle gefunden.
Dieser Erfolg ist nicht einfach mal so vom Himmel gefallen. Dass sich die Schüler am Ende ihrer Schulzeit in einem Lehrverhältnis wiederfinden, ist das Ergebnis einer vor vier Jahren gestarteten Initiative von Schulleitung und Gewerbeverein. Sie mündete in Zusammenarbeit mit der Reutlinger Agentur für Arbeit in ein Berufswahlkonzept, das die Schülerinnen und Schüler auf das Arbeitsleben vorbereitet. Jeden Dienstag sammeln die Achtklässler beim Tagespraktikum Betriebserfahrungen. In der Schule werden ihre Erlebnisse mit den Lehren gründlich nachgearbeitet.
So gut hat diese Idee in Walddorfhäslach eingeschlagen, dass sich Firmen, um die Schüler reißen. Längst nicht alle können mit Achtklässlern aus der Gustav-Werner-Schule bedient werden. Ein Erfolg, der zuletzt beim Antrittsbesuch von Landrat Thomas Reumann bewundert wurde und über die Gemeinde hinaus immer wieder Beachtung findet. Indes geben sich Schulleiter Ralf Röckel, 43, und Konrektor Norbert Fehrle, 53, im Gespräch mit dem TAGBLATT bescheiden. „Unsere Schüler sind ja alle gut integriert im Ort“, sagt Röckel, was im Übrigen auch für die 18 Prozent Ausländer gelte – überwiegend Türken, Italiener und Griechen. „Alle Kinder können Deutsch“, ist die tägliche Erfahrung von Fehrle.
Engagierte Firmen
„Freundschaften querbeet“, gemischte Lerngruppen – Ausländerprobleme kennt die 4800 Einwohner große Gemeinde nicht. Mithin gibt es sie auch nicht in der Schule.
245 Schülerinnen und Schüler besuchen die Gustav-Werner-Schule im Ortsteil Walddorf, eine Grund- und Hauptschule mit Werkrealschule. 20 Schüler sind in der achten Klasse. Die Hälfte davon geht auf eine weiterführende Schule, die andere Hälfte in die Berufsausbildung. „Orientierung in Berufsfeldern“, habe es ja immer schon gegeben, sagt Fehrle. Doch habe man in der Schule schließlich erkannt, dass noch mehr Praxisbezug nötig sei. Ein umfangreiches Konzept wurde deshalb erarbeitet, in das auch die Firmen eingebunden sind. Die aber mussten ja erst noch dafür gewonnen werden.
Brief mit Initialwirkung
„Die betriebliche Ausbildungssituation bereitet uns als Schule nach wie vor große Sorgen. Auch in diesem Jahr wird es schwierig werden, alle Schüler/innen in Ausbildungsplätzen unterzubringen.“ So beginnt ein Brief, der im März 2003 an alle in Frage kommenden Betriebe in der Gemeinde geschickt und in dem zu einem Informationsabend am 20.April eingeladen wurde – unterzeichnet von Röckel, Fehrle und dem Vorsitzenden des Gewerbevereins Volker Stähle. Die Schule stellte an diesem Abend ihr neues Konzept für den Berufswahlunterricht vor und bat die Firmenvertreter, Praktikumsplätze bereitzustellen. Der Erfolg war durchschlagend.
Alle Betriebe, die mehr als zwei Leute beschäftigen, sind mit dabei, einige auch von außerhalb. Und manche sind schon richtig sauer, dass sie noch keine Praktikanten bekommen haben. Denn noch keiner wollte zum Kaminfeger, keiner zum Metzger. Erst einer hat sich für den Steinmetz interessiert.
Der neu konzipierte Berufswahlunterricht bereitet die Jugendlichen umfassend auf die Berufsfelder vor. Er macht aber auch die Firmen neugierig auf das, was ihnen die Gustav-Werner-Schule zu bieten hat. Und dort strengt man sich mächtig an, den Achtklässlern das erforderliche Rüstzeug mitzugeben.
In einem ersten Block üben die Schüler zunächst einmal Bewerbungen schreiben, lernen die verschiedensten Berufe kennen und unterscheiden: gewerblich-technische, hauswirtschaftliche, soziale Berufe und Dienstleistungen. 60 Kärtchen hängen an der Wand im Klassenzimmer. Das ist der Firmen-Pool auf den die Schule zurückgreifen kann. Jedes Kärtchen steht für einen Betrieb, der einen Praktikumsplatz vorhält.
Im zweiten Block, wenn die Bewerbung raus und das O.K. der Firma da ist, gehen die Schüler an sieben bis acht Dienstagen am Stück ganztags in die Betriebe, um anschließend, ebenfalls immer dienstags, in einem dritten Block mit den Lehren ihre Erfahrungen nachzubereiten, Berichte abzufassen und sich auf weitere Tagespraktika vorzubereiten. Viermal acht Tage sind die Achtklässler insgesamt draußen, davon einmal zwei Wochen am Stück.
Nach dem vierzehntägigen Praktikum fassen die Schüler ihre Erlebnisse in einer Berichts- oder Fotodokumentation zusammen. Später stellen sie ihre Arbeiten den Siebtklässlern und ihren Eltern vor und erzählen davon, was sie in den Betrieben gelernt haben. Auf diese Weise erhält die nächste achte Klasse aus berufenem Munde schon einen ersten Eindruck von dem, was auf sie zukommt. Selbstredend werden die Berichte der Schüler von den Lehrern benotet. Und auch die Betriebe geben eine Beurteilung ab.
Am Ende die Bewerbung
Am Ende des Schuljahres wird es ernst, werden die Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz verfasst, und das sehr erfolgreich. „Wir bringen praktisch alle unter“, sagt Röckel mit Stolz. Der Erfolg spricht also für das Konzept und für das Engagement der Lehrer. Doch sehen sich Röckel und Fehrle noch nicht am Ziel. Am liebsten wäre es ihnen, wenn man die Zahl der Praktika vermehren und die Berufserkundung ausbauen könnte. Das muss sich aber mit den Anforderungen, die die Schule auch in anderen Fächern an die Schüler stellt, vereinbaren lassen. Aber schon jetzt wirkt der integrierte Ansatz. Die Deutsch-Note und die Note im Fach Wirtschaftslehre/Informatik werden nämlich ganz erheblich von der Qualität der Praktikumsberichte beeinflusst.