Im Flüsterton durchs Klassenzimmer
Bei der Klausurtagung der Kreishandwerker-
schaft drehte sich alles um die Gemeinschaftsschule
»Das war schon beeindruckend«, meinte Ewald Heinzelmann, Geschäftsführer der Reutlinger Kreishandwerkerschaft, nach seinem Besuch der Gemeinschaftsschule in Walddorfhäslach. Ein richtiges Kompliment, denn bisher standen und stehen die Handwerksmeister mehrheitlich eher skeptisch der neuen Schulform gegenüber. Sie bezogen bisher ihren Nachwuchs zu sechzig Prozent aus der Hauptschule. Nun wissen sie nicht mehr genau, was auf sie zukommt.Lerninseln, Lernbegleiter, keine Noten und kein Sitzenbleiben in Klasse fünf und sechs: Die Walddorfhäslacher Gemeinschaftsschule hat nicht mehr viel mit dem gemeinsam, was die Kreishandwerksmeister aus ihrer Kindheit und Jugend kennen. Sie schauten sich die neue Schulform, der sie bisher eher skeptisch gegenüberstanden, an und waren sichtlich angetan.
Deshalb sei es wichtig, sich die neue Schulart einmal vor Ort anzuschauen, erklärte Kreishandwerksmeister Harald Herrmann. Mit rund zwanzig seiner Kolleginnen und Kollegen hatte er sich deshalb für die Klausurtagung der Kreishandwerkerschaft auch erstmals Walddorfhäslach als Tagungsort ausgesucht. Und die Gemeinschaftsschule stand ganz oben auf der Themenliste.
Die Tagung organisiert hat Olfert Alter. Der stellvertretende Vorsitzende des örtlichen Gewerbevereins und Obermeister der Kreishandwerkerschaft ist der gleichen Meinung wie Herrmann: »Man kann nur über die Gemeinschaftsschule reden, wenn man sie live im Unterricht erlebt hat.«
Und dann ging es durchs Schulgebäude, im Flüsterton. Mit großem Interesse schauten sich die Handwerksmeister den Unterricht live an. Sie erfuhren von Lerninseln, von Lernbegleitern, von individuellem, gemeinsamem und kooperativem Lernen, konnten sehen, dass sich das klassische Klassenzimmer aus der eigenen Kindheit inzwischen in Luft aufgelöst hat. Kein Lehrer mehr, der vor der Klasse steht und den Stoff runterbetet, kein Frontalunterricht mehr.
Jeder Schüler ist nun zum großen Teil für seinen eigenen Lernfortschritt verantwortlich, die Stärkeren helfen den Schwächeren, es gibt einen Klassenrat und strikte Regeln. In Klasse fünf und sechs gibt es keine Noten und auch kein Sitzenbleiben mehr. Nur noch detaillierte Beurteilungen der Lernenden. »Aber wir können jederzeit die Beurteilungen leicht in Noten umrechnen«, sagt Konrektor Norbert Fehrle. »Das ist ganz davon abhängig, was Sie lieber wollen«, sprach er die Besucher direkt an.
Was die Kreishandwerksmeister zwischen Reutlingen, Messkirch und Oberndorf am Neckar besonders beeindruckte. Den Schulalltag erklärten zuerst nicht Rektor und Konrektor, es waren die Schüler, die Lernenden selbst, die über die Gemeinschaftsschule mitten im Klassenzimmer informierten. Man sah, wie sie die neue Schulart bereits verinnerlicht haben und wie leicht es beispielsweise Vivienne, Henry und Maximilian fiel, den Ablauf eines Schultages zu schildern. »Wie selbstständig und redegewandt die waren. Das waren wir früher sicher nicht«, zeigte sich Heinzelmann sichtlich erstaunt.
Seit eineinhalb Jahren gibt es jetzt die Gemeinschaftsschule in Walddorfhäslach. Die neue Schulart »war wie ein Lottogewinn«, sagt Rektor Ralf Michael Röckel. Nur noch 16 Schüler hatte die auslaufende Hauptschule. Im ersten Jahr der Gemeinschaftsschule waren es 43, im zweiten 53, »und jetzt mussten wir bereits zehn Schüler ablehnen, weil wir an unsere Kapazitätsgrenze gestoßen sind«.
»Unser Lehrerkollegium stand geschlossen hinter der Gemeinschaftsschule«, berichtet Konrektor Norbert Fehrle von den Anfängen. Es gab Lehrer, die sich sogar extra nach Walddorfhäslach bewarben, um in einer Gemeinschaftsschule zu unterrichten.
Die Berufsorientierung ist nach wie vor ein wichtiges Feld in der Gemeinschaftsschule, was wohl auch die Kreishandwerker sichtlich beruhigte. Im 8. und 9. Schuljahr stehen Berufspraktika im Vordergrund. Jeder Schüler lernt in dieser Zeit sechs verschiedene Berufe kennen. Dies funktioniert so gut, weil die Walddorfhäslacher Gemeinschaftsschule inzwischen 80 Betriebe als Bildungspartner hat. (GEA)